Der neue Thriller von Luca D’Andrea erschüttert bis ins Mark und fesselt bis zur letzten Seite
Südtirol – beim Gedanken an die Region im Norden Italiens kommen einem Gedanken an Bergwandern in den Sinn, an sonnige Skitage in den Dolomiten, Sommerurlaub im warmen Vinschgau, an perlenden Wein abends auf der Terrasse und traumhaft schöne Natur. An etwas abgrundtief Böses denkt wohl kaum jemand… Und doch ist es Autor Luca D’Andrea erneut gelungen, das Böse in Verbindung mit dem positiv besetzten Wort Südtirol zu bringen. Mit seinem neuen Thriller „Das Böse es bleibt“ hat er es nach „Der Tod so kalt“ ein zweites Mal erreicht, mich vom Schlafen abzuhalten und bis ins Innerste zu erschüttern. Winter 1974, die junge Marlene kämpft sich mit ihrem Auto über kurvige Bergstraßen. Um sie herum tobt ein Schneesturm, in ihrem Inneren toben Panik und Todesangst. Marlene weiß genau, dass ihr Mann, ein einflussreicher, skrupelloser Südtiroler und Kopf einer mafiösen Verbindung, sie umbringen lassen wird. Warum? Weil sie ihn verlassen will. Weil sie ihn vermeintlich betrogen hat. Weil sie einen Beutel voller wertvoller Saphire aus seinem Safe genommen hat. Die Steine sollen ihr den Weg in ein neues Leben erleichtern, ihren Neuanfang finanzieren.
Doch Marlenes Mercedes kommt von der glatten Straße ab und stürzt in eine Schlucht. Die junge Frau wird von einem alten Mann entdeckt und gerettet – Glück im Unglück, so könnte man annehmen, doch dass sie in der einsamen Berghütte des alten Simon Keller alles andere als in Sicherheit ist, kann Marlene da noch nicht ahnen… Marlene wacht in der kargen Hütte auf und erkennt, dass sie durch den Unfall zwar verletzt wurde, aber lebt und im Warmen ist – allerdings weit von den geplanten neuen Leben entfernt und immer noch in den Südtiroler Bergen, im Land des Mannes, den sie hinter sich lassen wollte.
Kompromisslos, klar, hart
Zwischen Marlene und dem alten Bauern Simon, einem scheinbar verschrobenen, eigenbrötlerischen Einsiedler, entwickelt sich nach und nach eine Beziehung, für die es keine Beschreibung gibt. Etwas verbindet sie und doch steht etwas zwischen ihnen. Dieses Subtile zieht sich durch die komplette Handlung des Buches. Und dennoch ist Luca D’Andreas Sprache geschliffen und teilweise eiskalt und messerscharf. Während manche Passagen einen eher poetischen Charakter haben, haut er dem Leser in anderen Passagen Sätze um die Ohren, die klarer und deutlicher nicht sein könnten. Kompromisslos, klar und hart beschreibt D’Andrea Grausames: „Und mit seinem Messer trennte er Voter Luis die Kehle durch.“ Peng. Mehr braucht es nicht.
Ich muss zugeben, dass ich mir am Anfang des Buches nicht sicher war, ob wir „Freunde werden“ würden. Zum Glück habe ich das getan, was das Buch dem Leser abverlangt: Ich habe ihm Zeit gegeben. Zeit, um seine ganze sprachliche Wucht zu entfalten. Zeit, um die eigene Fantasie anzustacheln und Zeit, um diese dramatische Handlung zu entwickeln.
„Das Böse es bleibt“ hat mich gepackt. Es ist ein im positiven Sinne wahnsinnger Thriller, der so spannend wie poetisch, so rührend wie brutal ist.
Bei Büchern wie „Das Böse es bleibt“, die ins Deutsche übersetzt wurden, finde ich es mehr als schade, den Titel nicht in der Originalsprache lesen zu können. Zwar spreche ich ein ganz passables Italienisch, aber das reicht nicht ansatzweise aus, um ein so komplexes Werk lesen (und verstehen!) zu können. Ich kann mir nur denken, dass das Buch, dessen Übersetzung schon so unfassbar gut geschrieben ist, im Original der Wahnsinn sein muss.
Mein Fazit: Bitte, tut Euch den Gefallen und lest dieses Buch! Es hat mit einem „gewöhnlichen“ Krimi zwar nichts, aber auch gar nichts zu tun und ist wirklich keine leichte Kost – aber Luca D’Andrea kann einfach schreiben wie kaum ein anderer Autor. Er bringt es fertig, so viel subtile Spannung zwischen die Zeilen zu packen, dass einem heiße und kalte Schauer über den Rücken laufen. Klar, die Handlung erscheint bei realistischer Betrachtung mehr als zweifelhaft, aber dieses Märchenhaft-Gruselige und Fantasievolle macht gerade den Charme von Luca D’Andreas Büchern aus. Ich hoffe sehr, dass er bereits neue, böse Ideen für einen dritten Thriller ausarbeitet…
Luca D’Andrea: „Das Böse es bleibt“, 432 Seiten, DVA, ISBN: 978-3-421-04806-6, 15 Euro